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„Weder Begruppenkuscheln noch Fernhalten“

Wie ein Buchprojekt jungen Geflüchteten Gehör verschafft

Karsten und Petra Lampe haben mit jungen Geflüchteten ein Buch geschrieben – über Flucht, Ankommen und ihre Träume. Entwickelt hat sich das Projekt aus den„Schreibwerkstätten“: Schreibworkshops, die das CVJM-Ostwerk für geflüchtete Jugendliche organisiert hat, um sie dazu zu befähigen, sich auf Deutsch auszudrücken. Das Buch „Hässlich willkommen“ ist Integrationsprojekt sowie der Versuch zu zeigen, dass die neuen Nachbarn jetzt keine warmen Jacken mehr brauchen – sondern Freunde.

 

Petra, „Hässlich willkommen“ – wieso habt Ihr das Buch so genannt?

Petra: Ein Teilnehmer der Schreibwerkstatt wollte mir Arabisch beibringen und erklärte mir die doppelte Bedeutung eines Wortes. Das sei wie beim deutschen Wort „hässlich“ in „hässlich willkommen.“ „Ali“, antwortete ich, „es heißt „Herzlich willkommen“ wie von „Herzen“. Und er sagte: „Ich dachte immer, es heißt so, weil alle willkommen sind – auch die Hässlichen.“

Karsten: Wir fanden diesen „Verhörer“ so gut, weil er das Spannungsverhältnis umschreibt, in dem sich viele Geflüchtete in Deutschland wiederfinden. Ihnen schlägt einerseits Hilfsbereitschaft entgegen, andererseits spüren sie, sie sind hier nicht bei allen willkommen. Und: Sie wissen nicht, wie’s weiter geht.

 

Die Texte im Buch handeln über Freundschaft, Liebe, Heimat, Zukunft – aber auch über Flucht und die Zeit danach. Was bewegt die jungen Geflüchteten denn heute am meisten?

Petra: Immer noch wollen ihnen Leute Kleidung und Essen geben. Aber sie sagen: „Wir kriegen Geld, das ist nicht unser Problem. Was uns fehlt, sind Freunde.“ Ich glaube, dass ist der Grund, warum die jungen Geflüchteten sehr stark bei uns im CVJM angedockt sind. „Warum wir? Es gibt doch so viele Hilfsorganisationen“, habe ich gefragt. Dann hieß es: „Weil wir hier nicht nur die Hilfsbedürftigen sind, sondern Teil der Gemeinschaft. Weil der CVJM unsere Familie geworden ist.“ Das bewegt mich.

Das Buchprojekt ist Petra und Karsten Lampes gemeinsames Projekt.
Das Buchprojekt ist Petra und Karsten Lampes gemeinsames Projekt.

Also was ist Zuhause?

Veronika Rieger in Hässlich Willkommen

  • © Katja Heinemann
  • © Katja Heinemann
  • © Katja Heinemann
  • © Katja Heinemann
  • © Katja Heinemann
  • © Katja Heinemann

Habt Ihr während der Schreibwerkstätten gewusst, dass man aus den Texten ein Buch machen kann?

Karsten: Das war ja am Anfang gar nicht unser Plan. In den ersten Workshops haben wir kurze Gedichte geschrieben. Da denkst du natürlich nicht gleich: „Oh, das wird ein Buch!“ Wir mussten auch immer wieder vermitteln, wie viel Arbeit es bedeutet, wenn man ein ganzes Buch schreiben möchte. Aber das Interesse daran war immer wieder so groß, von innen wie von außen, und die Motivation unserer Teilnehmer ebenso, dass wir dann irgendwann gesagt haben: „Ok, das packen wir jetzt an.“ Und darüber sind wir sehr froh, denn es hat sich gelohnt.

 

Ihr möchtet mit dem Buch auch unterhalten. Was ist an Flucht unterhaltsam?

Karsten: An Flucht ist nichts witzig. Wir machen ja auch kein Comedybuch, aber auch keins mit dem Tenor „Oje, die armen Geflüchteten“. Wir möchten zeigen, dass die Geflüchteten ein ganz normales Leben führen und ganz normale Interessen haben, und dass sie im Alltag auch einfach mal lustige Sachen erleben.

 

Was hat das Buchprojekt den jungen Geflüchteten gebracht?

Petra: Viele haben eine riesige Persönlichkeitsentwicklung mitgemacht. Erst dachten sie: „Wie soll ich auf Deutsch ein Gedicht schreiben? Das ist unmöglich!“ Eigentlich ist es jetzt nur ein Nebeneffekt, dass andere bald ihre Geschichte lesen können. Wichtiger ist doch, dass manche jetzt ganz anders über ihre Zukunft denken nach dem Motto: „Wenn ich das zustande bringen kann, dann meistere ich auch eine Ausbildung hier in Deutschland.“

 

Was hofft Ihr, kann Euer Buch in den Köpfen der Leser bewegen?

Karsten: Den Erscheinungstermin des Buches haben wir unter anderem deshalb gewählt, weil sich im Juni der berühmte Satz „Wir schaffen das“ zum zweiten Mal jährt. Damit wir das schaffen, ist es notwendig, dass wir Geflüchtete nicht als Leute wahrnehmen, die man begruppenkuscheln oder fernhalten muss. Wenn das Buch dazu betragen könnte, das wäre das Größte für uns.

 

Das Interview erschien zuerst im CVJM Magazin Ostwerk 2/18.

Pressestimmen

„Die Lektüre des Buches [wirkt] wie das Aufstemmen einer verriegelten Tür. Plötzlich sind da nicht länger nur Schemen zu erkennen, sondern lauter lebendige, liebenswerte Menschen mit jeweils eigenen Träumen und Traumata, Alltagssorgen und Zukunftsvisionen, mit großer Dankbarkeit gegenüber dem Land, in dem sie Aufnahmen fanden, aber nicht minder großer Verwunderung über hiesige Bräuche und Bürokratie.“

 

Martin Hatzius, neues deutschland