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Ostwerkstatt

 

„Verbundenheit ab dem zweiten Tag“

Felix Jäger verabschiedet sich als Leiter der Ostwerkstatt

 

Felix Jäger leitet seit 2014 ehrenamtlich das TEN SING Seminar, die Ostwerkstatt, die das CVJM-Ostwerk einmal jährlich in der PerspektivFabrik im brandenburgischen Mötzow veranstaltet. Der 28-Jährige ist Pilot und pendelt zwischen Berlin und seinem zweiten Wohnort Zürich. Wir treffen ihn auf der Ostwerkstatt, die in der zweiten Herbstferienwoche stattfindet – sie wird seine letzte als Leiter sein. Im Gespräch erzählt Felix, warum es „großen Charme“ hat während der Woche „abgekapselt zu sein“ und wieso Andachten als fester Bestandteil zur Ostwerkstatt gehören. 

 

Felix, du hast mir einmal gesagt, dass du erst auf der Ostwerkstatt verstanden hast, was das heißt: Gemeinschaft. Warum?

Ich kenn keine andere Veranstaltung, wo man in so kurzer Zeit zueinander findet. Man redet zwar nicht mit jedem und weiß auch nicht alles über jeden. Und trotzdem gibt es ein Verbundenheitsgefühl ab dem zweiten Tag. Ich weiß nicht, woher das kommt. Vielleicht ist es das gemeinsame Ziel, auf die Show am Ende der Woche hinzuarbeiten. Ich glaube aber auch, dass der Heilige Geist uns hier zusammenschweißt. So fühlt sich das zumindest an.

 

Du bist seit 2014 ehrenamtlicher Leiter. Was hat dich in dieser Zeit persönlich gefordert?

Einmal der Aufwand neben dem Vollzeit-Beruf. Wir arbeiten mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, stehen in Kontakt mit den Eltern und mit den Hauptamtlichen vom CVJM-Landesverband. Diese Aufgaben zu erledigen, das Seminar zu organisieren und nebenbei eine Balance zum Job zu finden, das war immer eine Challenge.

Andererseits gab es während der Seminare selbst Konflikte, die mich gefordert haben: Wer macht welche Aufgaben und passt es für denjenigen? Oder müssen wir im Team etwas umstellen? Darauf zu reagieren, mit 27 ehrenamtlichen Mitarbeitern – das war immer eine spannende Aufgabe.

 

Und gab es auch einen Moment, an dem du gesagt hast: „Dafür mache ich es!“?

Wenn ich Kinder erlebe, die aus einem nicht-christlichen Elternhaus hier herkommen. Ich habe von einem Teilnehmer gehört, den sein Kumpel dazu überredet hatte. Er war zwar bei TEN SING (Musik-Kultur-Arbeit des CVJM, Anm. der Red.), hatte aber überlegt, ob er damit aufhört, weil ihn die Andachten so nervten. Hier sagt er, dass er das geistliche Programm so ansprechend findet und gern mehr erfahren möchte.

 

Das geistliche Programm gehört zum festen Tagesablauf der Ostwerkstatt. Also zum Beispiel die Andachten, auch „Homezones“ genannt, zu denen die Teilnehmer freiwillig gehen können. Welchen Ansatz verfolgt ihr damit?

In erster Linie ist die Intention aufzuzeigen, warum der Glaube an Jesus sich lohnt. Also erzählen wir ein paar Gleichnisse aus der Bibel, möchten ein paar Dinge erklären, aber im Grunde geht’s darum, denen, die fest im Glauben sind, zu zeigen: „Das ist eine gute Sache.“ Und denen, die es nicht sind, anzubieten: „Hey, überleg mal, ob du dich dafür interessierst. Vielleicht lohnt es sich, mehr zu investieren.“

 

Was bedeutet dir persönlich dein Glaube?

Sehr viel. Ich stehe im krassen Austausch mit Jesus. Der Glaube ist Bestandteil meines Alltags. Spätestens abends im Bett spreche ich meine Gebete. Was mich traurig macht: Ich komme nicht oft dazu, in die Kirche zu gehen. Einmal wegen der Tatsache, dass ich oft sonntags arbeiten muss, aber auch wenn ich mal sonntags frei habe, dann habe ich viele andere Dinge zu tun. Und ich fühle mich auch noch in keiner Gemeinde so richtig wohl. Da bin ich auf der Suche.

 

Was antwortest du jungen Menschen auf die Frage: Was bringt es zu glauben?

Ich glaube, dass muss jeder mit sich selbst ausmachen. Für mich bedeutet es, dass ich mich aufgefangen fühle. Es gab Situationen, in denen ich gedacht habe: Oh Gott! Was passiert hier? Warum muss das jetzt sein? Wenn man mit der Attitude daran geht, dass alles, was im Leben passiert, zu etwas Besserem führt, dann führt es auch dazu. Und genau dieser Glaube hat mich hier hin gebracht. Ich habe einen tollen Job, eine tolle Partnerin, und ich darf mit tollen Jugendlichen zusammenarbeiten. Ich bin mir sicher, ohne meinen Glauben wäre es anders gekommen.

 

Was hast du in der Zeit, in der du die Ostwerkstatt leitest, über dich gelernt?

Man braucht wenig Schlaf. Das wusste ich vorher schon, als ich noch Mitglied im Team war. Und ich habe über mich gelernt, dass mir viele Sachen nicht egal sind und dass ich emotionaler bin, als ich dachte. Dass ich abends nicht einschlafen kann, weil ich noch Dinge im Kopf durchwälze. Das war übrigens einmal mit Jugendlichen so, die wir nach Hause schicken mussten. Wenn ich etwas drehen muss und jemand ist enttäuscht, dann frage ich mich selbst: Was hätte ich besser machen können?

 

Eine Teilnehmerin hat die Ostwerkstatt als „eine kleine eigene Welt“ bezeichnet. Was macht denn diese Welt so besonders?

Ich glaube, einen großen Charme hat es, dass wir hier so abkapselt sind. Das Internet ist langsam, wir kriegen keine Zeitungen, es gibt keinen Fernseher. Man kriegt nicht so wirklich mit, was draußen passiert. Und dadurch wächst man zusammen und beschäftigt sich nur mit den Dingen, die hier passieren. Letztens hatten wir bei einer Abendandacht das Thema Liebe. Es ging dabei auch darum, wie man mit den sozialen Medien umgeht. Es bedrückt viele, weil sie das Gefühl haben, dass sie dort den Vergleich mit anderen nicht standhalten, nicht mithalten können. Unser Eindruck ist es, dass sie sich auf der Ostwerkstatt vielmehr auf sich selbst konzentrieren, Zeit haben, um über solche Dinge nachzudenken oder den Kontakt zu ihren Freunden suchen. Wenn sie dann das Handy rausholen, ist es eher Gewohnheitssache, die sie von zuhause kennen.

 

Dies hier ist deine letzte Ostwerkstatt. Wie geht’s dir damit?

In der Vorbereitungsphase ging’s mir sehr gut damit, weil ich wieder einmal gemerkt habe, wie viele Aufgaben es sind. Als es losging, wurde ich doch sehr wehmütig und dachte, ich werde es sehr vermissen. Und trotzdem geht es mir sehr viel besser, weil ich sehe, dass es läuft. Mein Nachfolger Till macht es sehr gut, und er hat ein starkes Team hinter sich. Von daher kann ich guten Gewissens gehen. Aber ganz aus der Welt bin ich ja auch nicht.

 

Berlin, 2. November 2018